Der dritte Kronzeuge
AKTUELL: BDR mit Strafanzeige gegen mehrere Sportler
Warum die Aussagen von Amateurradsportler Philip Schulz den Bund Deutscher Radfahrer in Bedrängnis bringen könnten
Sport inside
09.02.2009
22:45 Uhr (WDR)
Whlg. 10.02.2009 - 09:20 Uhr (WDR)
Philip Schulz will angreifen. Jedoch nicht auf der Straße, sondern vor Gericht. Es ist etwas mächtig schief gelaufen in seinem Radfahrerleben. Nun ist es für ihn an der Zeit Klartext zu reden. Klartext darüber, wie das Dopingsystem im Amateurradsport funktioniert, dem auch er letztlich nicht widerstehen konnte. Er ist nach den Profis Jörg Jaksche und Patrik Sinkewitz der dritte deutsche Radsportler, der sein Schweigen bricht. Als Kronzeuge will er sich dem Bund Deutscher Radfahrer anbieten. Philip Schulz spricht über Hintergründe, Dopingmittel und wie ein Sportkollege ihn dazu drängte, harte Dopingmittel zu nehmen.
2008 wurde Philip Schulz erwischt. Mit Boldenon, einem Mittel für die Pferdezucht. In Deutschland ist es als Medikament nicht einmal in der Tiermedizin zugelassen. Schulz steht vor einem Scherbenhaufen und entscheidet sich für bedingungslosen Angriff. Beim BKA hat er Strafanzeige gegen Fahrerkollegen gestellt. Auch beim BDR will er auspacken, reinen Tisch machen, um seine Strafe zu mildern. Der BDR hat sich entschieden, das Angebot anzunehmen. Allerdings prüft er gleichzeitig rechtliche Schritte gegen seinen Kronzeugen, da Schulz einen Verbandsmitarbeiter mit seinen Aussagen schwer belastet. (Text WDR)
„Der
dritte Kronzeuge"
Länge:
09:12 min
Beitrag: Fred Kowasch
Kamera: Steffen Schencker
Schnitt: Thimo Dörrhöfer
Es ist die Musik der Strasse, das
Klackern das vor dem Angriff kommt. Philip Schulz will angreifen.
Jedoch nicht auf der Straße, sondern vor Gericht. Es ist da etwas mächtig schief
gelaufen in seinem Radfahrerleben. Nun ist es für ihn an der Zeit
Klartext zu reden. Wie das Dopingsystem im Amateurradsport
funktioniert, dem auch er letztlich nicht widerstehen konnte.
Philip
Schulz (Radamateur)
„Ich
weiß mir einfach nicht anders zu helfen, als reinen Tisch zu
machen. Erklären, wie das war. Weil es sieht so aus als würde
ich jahrelang hier als wäre ich jahrelang mit Drogen unterwegs
gewesen oder mit Anabolika."
Er ist der dritte deutsche
Radsportler, der sein Schweigen bricht. Als Kronzeuge hat er sich dem Bund
Deutscher Radfahrer angeboten. Was der 29jährige aus der Nähe
von Kaiserslautern gegenüber dem WDR vor der Kamera berichtet,
hat er auch dem BKA mitgeteilt. Philip Schulz spricht über
Hintergründe, Dopingmittel und wie ein mit allen Wassern
gewaschener Sportkollege ihn selbst zum Doping mit Aufputschmitteln
verführt haben soll.
Philip
Schulz (Radamateur)
„„Ich
hab nein gesagt, ganz laut und deutlich nein. Und hab dann gesagt
mach, ich wart dann. Ja, dann hat er mir etwas drin gelassen und dann
habe ich mir das halt in die Bauchfalte minimals appliziert."
Dabei blieb es nicht. Dem Aphetamin
aus der selben Spritze folgte ein härteres Mittel. Kurz vor der
Landesmeisterschaft in Rheinland-Pfalz im Mai 2008. Wieder war es
derselbe Radsportkollege, der Philip Schulz dazu gedrängt haben
soll.
Philip
Schulz (Radamateur)
„Ja,
das wär was Spezielles. Das könntest du auch nehmen. Und
nach vier bis fünf Tages ist es draußen. Und dann habe ich
auch Bedenken angemeldet. Das ist ja flüssig, das ist ja ein
richtiges Anabolikum. BLITZ Mir war das schon ein bisschen komisch.
Aber er hat mir das quasi so rübergebracht als sei das was ganz
Spezielles. Das wär nicht zu detektieren im Dopingtest."
Ein paar Wochen später wird
klar: Die Dopingprobe bei der Landesmeisterschaft war positiv. Im
Urin von Philip Schulz - auch Boldenon, ein Mittel für die
Pferdezucht. In Deutschland als Medikament nicht einmal in der
Tiermedizin zugelassen. Dieses Mittel, so behauptet Schulz, hat ihm
der Radsportfreund auch handschriftlich in Rechnung gestellt. 70
Euro für ein Ticket in die Ungewißheit, dem die Sperre von
zwei Jahren folgte.
Philip Schulz:
„Ich bin dann aus
allen Wolken gefahren. Das war als würde ich sterben oder so.
Ich war da allein, als ich dieses Einschreiben geöffnet habe.
Ich war wohl ziemlich nervös und blass ....
Hier in der Lokalzeitung war eine
große Überschrift zu lesen: Schulz droht Strafanzeige. Das
beleidigt auch - das ist eben Lokalsport hier in der Region - und
meine Eltern sind auch noch da. Und ich hatte Angst hier im lokalen
Supermarkt zu gehen, zum Friseur. Leute, denen ich alle von meinem
Sport erzählt hab. Ich habe mir quasi etwas erarbeitet. Auch
wenn man es nicht mit den Händen greifen kann oder ich auch
nichts damit verdient habe. Aber ich habe mir zumindest einen
sportlichen Erfolg erarbeitet."
Plötzlich steht Philip Schulz,
der Rheinland-Pfalz-Meister, vor einem Scherbenhaufen. Seine Siege,
was sind sie noch wert?!
Was nun?
Philip Schulz entscheidet sich für
das, was ihm als Radfahrer noch immer geholfen hat. Bedingungsloser
Angriff. Er will reden, auspacken - vor dem Radsportverband.
Vielleicht wird die Strafe dann milder.
In einer Strafanzeige, gegen
Fahrerkollegen benennt er Details, spricht darüber was er
gehört, was er selbst gesehen hat. Einen Kühlschrank voller
Medikamente. Darunter die Dopingklassiker: Epo, Testosteron,
Wachstumshormon.
Dr.
Achim Schmidt (Radamateur und Sportwissenschaftler)
"Es
ist gut, dass endlich mal ein Amateur seinen Mut zusammen genommen
hat und in den Bereich Dinge sagt, die bisher für den
Amateurbereich vielfach vermutet worden sind, sie sind offenen Wissen
in der Szene letztendlich, aber es niemand das wirklich mal auf den
Punkt gebracht hat, über seine eigene Person. Wir
hatten 98, 97 Jörg Paffrath aus Köln, der mutig war, aber
dann letztendlich vom Bund Deutscher Radfahrer überhaupt nicht
ernst genommen worden ist oder vielleicht auch zu ernst genommen
worden ist. Und mehr oder weniger platt gemacht worden ist."
Die Aussagen von Philip Schulz
bringen den Bund Deutscher Radfahrer in Erklärungsnöte. In seiner Strafanzeige behauptet
Schulz: ein 2007 positiv auf das verbotene Mittel hCG getesteter
Radsportler sei von einem Mitarbeiter der BDR-Geschäftsstelle
aufgefordert worden, "sich einen Befund über Hodenkrebs zu
besorgen".
Philip
Schulz (Radamateur)
„Wie
er mir bestätigt hat, hat er dann beim BDR angerufen, hat seine
Unschuld beteuert. Und da hat ihm wohl jemand gesagt: dass er dieser
Person etwas bringen soll, also dieser Person beim BDR. Um das
pathologisch, also auf natürliche Weise begründen zu
können, also diesen erhöhten Testosteronwert.
Frage:
Was sollte er da genau bringen? Von einem Arzt, oder ....
Ein
Befund von einem Doktor, von einem Arzt, der ihm belegt, dass dieser
erhöhte Testosteronwert aus Hodenkrebs, aus möglichen
Hodenkrebs oder angehenden Hodenkrebs, so genau weiß ich das
nicht, begründet sein kann oder daraus resultiert.
Frage:
Und das soll der BDR ihm geraten haben, so hat er ihnen das erzählt?
Antwort:
Ja."
Die dem BDR betreffenden Aussagen
sind auch Bestandteil der Strafanzeige von Philip Schulz beim BKA.
Und: sie werden von einem zweiten Zeugen, in Form einer
Eidesstattlichen Versicherung, die dem WDR vorliegt, bestätigt.
Sport inside hat den Bund Deutscher
Radfahrer zu diesem Vorwurf befragt. Die Antwort, ZITAT:
"Es wurde lediglich durch uns
gemäß WADA-Code auf
Vorschlag eines akkreditierten Labors
die Empfehlung ausgesprochen,
weitere Untersuchungen zu veranlassen, um eine Tumorerkrankung
auszuschließen."
Bleibt die Frage: Warum wurden 2007 zwei auf hCG positiv getestete Fahrer nicht gesperrt?
Die Antwort des BDR:
"Da es sich hierbei um sehr
vertrauliche Daten und Informationen handelt, können wir ihnen aber keine
Details daraus zukommen lassen. Die Ergebnisse waren jedoch so,
dass keine Sanktionen zu verhängen waren."
Der BDR und sein Präsident
Rudolf Scharping. Bereits im November 2008 stand sein Verband im
Blickpunkt der Öffentlichkeit. Vor dem Sportausschuss des
Deutschen Bundestages musste er sich zum Ausbleiben von
Dopingkontrollen bei der Nationalen Meisterschaft im Mountainbiking
erklären. Ein Stopp der Fördermittel wurde diskutiert.
Im Amateurbereich, so gibt des BDR
selber zu, finden Dopingkontrollen nur stichprobenartig statt. Achim
Schmidt fährt seit 20 Jahren in Nordrhein-Westfalen Radrennen.
Einen Dopingkontrolleur hat er dort noch nie gesehen.
Dr.
Achim Schmidt (Radamateur und Sportwissenschaftler)
"Ich selber
habe bei noch keinem Rennen eine Kontrolle erlebt auch nach '98, 2006
nicht. Das ist natürlich ein Riesen Problem. Ich warte auf die
erste Kontrolle bei einem Rennen. Nicht bei mir, sondern überhaupt
mal in NRW. Das ist natürlich sehr schade. Wenn Deutsche
Meisterschaften stattfinden in NWR, dann gibt es natürlich
Kontrollen. Aber in normalen Rennen, wo relativ viel Geld zu
verdienen ist, da sind Kontrollen absolut Fehlanzeige."
Seitdem in Rheinland-Pfalz im
Amateurbereich vermehrt Dopingkontrollen stattfinden, werden die
Fahnder dort regelmäßig fündig. Philip Schulz war
einer dieser Fälle. Jahrelang hat er versucht so sagt er, durch
seriöses Training Erfolge sauber zu erringen. Letztendlich hat
er resigniert.
Philip Schulz
„Wenn
man seine Idole, alle um sich herum so einfach umfallen sieht, dann
merkt man plötzlich der hat auch was genommen und der auch ....
Dann denkt man plötzlich: irgendetwas mache ich falsch. Bin ich
eigentlich blöd, wenn ich weiter trainiere seriös, ohne ja
.... da wird mal halt auch zugänglich. BLITZ Und dann wird man
halt nachdenklich, ob man nicht doch vielleicht einen Fehler macht
.... Wenn die chemisch das halt machen, dass ich da mithalten kann.
Mir war aber nicht klar, dass das im Amateurbereich quasi schon die
komplette Palette vorhanden ist."
Einsichten eines Radamateurs. Die
jetzt öffentlich sind. Mit den Aussagen von Philip Schulz bietet
sich nun die Möglickeit tabula rasa zu machen. Der BDR ist
gefordert, meint auch Achim Schmidt.
Achim Schmidt:
"Er sollte
es sehr ernst nehmen. Er sollte letztendlich die zweite und
vielleicht auch letzte Stufe im Dopingkampf im Amateurbereich doch
auch versuchen, den Sumpf ein wenig trocken zu legen. Damit
Abschreckung da ist, damit die Fahrer erkennen dass es keinen Sinn
macht, damit auch vernünftige Werte an die nachrückenden
jungen Fahrer weitergegeben werden."
Der dritte
Kronzeuge. Die nächste Doping-Aufklärung steht an. Der BDR will Philip Schulz zum Gespräch einladen. Ein Anfang - immerhin.